SPORT AUTO, 01.08.1990

Interview: sport auto sprach mit Weltmeister Alain Prost
"Ich mache heute, was ich will"

This interview is also available in English!


EXPERTEN SAGEN: WIR ERLEBEN IM MOMENT DEN BESTEN PROST, DEN ES JE GAB. WAS SAGEN SIE DAZU?
Das kann stimmen. Ich glaube, ich bin besser als je zuvor, weil ich bei Ferrari ohne Druck arbeiten kann, so wie ich es will. Die Leute dort haben Vertrauen in mich.

WAR DAS BEI MCLAREN NICHT DER FALL?
Die letzten zwei Jahre waren schwierig. Ich konnte meinen Arbeitsstil nicht durchsetzen, weil es permanent Druck durch das lächerliche Duell mit Senna und durch Kommunikationsprobleme mit Honda gab. Diese Probleme trägst du mit dir herum. Du fühlst dich nicht wohl und fährst automatisch schlechter. Nur ein Beispiel dafür: Es kam immer öfter vor, daß sie mich nach einem Testtag aus dem Auto herausgeholt und Ayrton reingesetzt haben, obwohl ich mit meiner Arbeit noch gar nicht fertig war. Bei Ferrari gibt es so etwas nicht.

SIE PLANEN IHRE RENNEN MIT DER TAKTISCHEN FINESSE EINES SCHACHSPIELERS. IST DAS DIE ERFAHRUNG ODER EINFACH SELBSTDISZIPLIN?
Von allem etwas, möchte ich sagen. Das wichtigste an einem Grand Prix-Wochenende ist für mich, die optimale Abstimmung fürs Rennen zu finden und sie zu verstehen. Das Training ist nur zweitrangig. Du mußt dein Rennen vorher genau analysieren. In Mexiko zum Beispiel, als ich im Training nur 13. War, habe ich dem Team gesagt: Denkt euch nichts, ich kann heute trotzdem gewinnen. Sie haben mir nicht geglaubt, aber ich hatte meinen Plan für das Rennen schon gemacht. Mir war klar, daß der Grand Prix in der zweiten Hälfte entschieden würde. Also mußte ich zu diesem Zeitpunkt das schnellste Auto im Feld haben. Darauf habe ich mich konzentriert. Daß ich mit vollen Tanks im Aufwärmtraining vor dem Rennen nur Achter war, hat mich nicht gestört. Ich wußte, daß ich die ersten Runden im Verkehr abschreiben konnte. Silverstone war ein ähnlicher Fall. Dort mußt du die ersten zehn Runden langsam fahren und auf deine Reifen aufpassen. Warum also das Auto für volle Tanks optimal abstimmen, wenn ich da sowieso langsam fahren muß? Es war vorauszusehen, daß die entscheidende Phase des Rennens bei Halbzeit liegen würde. Da mußte ich den Rückstand auf Nigel aufholen und darauf hin habe ich mein Auto perfekt eingestellt.

SIE HABEN SICH IM LETZTEN JAHR OFT ÜBER DIE SCHLECHTE ATMOSPHÄRE IN DER FORMEL 1 BEKLAGT. IST ES IMMER NOCH SO SCHLIMM?
Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Das einzige, das mir in der Formel 1 noch Freude bereitet, ist meine Arbeit bei Ferrari, zu sehen, wie wir Fortschritte machen. Zum Glück bin ich dort so eingespannt, daß ich von den unerfreulichen Dingen außerhalb wenig mitbekomme. Ich fahre, arbeite, gehe ins Hotel.

WAS IST SO NEGATIV AM FORMEL 1-AMBIENTE?
Es ist kalt, unehrlich, voller Polemik und Geschichten, die nur lanciert werden, um ärger zu schüren.

WIE IST IHR VERHÄLTNIS ZU IHREN FAHRERKOLLEGEN?
Mit ein paar komme ich gut, mit anderen weniger oder gar nicht aus. Was mich aber am meisten stört, ist die Einstellung der Fahrer im allgemeinen. Glauben Sie, daß es möglich wäre, mal alle unter einen Hut zu bekommen, wenn es um Sicherheitsfragen geht? Keine Chance!

MCLAREN-CHEF RON DENNIS BEHAUPTET IMMER NOCH, DASS ES FÜR SIE BESSER GEWESEN WäRE EIN JAHR ZU PAUSIEREN.
(Lacht) - Es wäre vielleicht besser für ihn gewesen, weil er dann leichteres Spiel gehabt hätte.

HAT FERRARI MCLAREN-HONDA BEREITS ÜBERHOLT?
Noch nicht ganz, aber wir haben sie in Sichtweite. Auf der Motorenseite sind sie uns noch in der Beschleunigung und der Zuverlässigkeit überlegen.

GERHARD BERGER BEHAUPTET, DASS ER FERRARI NICHT MEHR WEITERGEBRACHT HÄTTE, DASS DER AUFSCHWUNG DAS VERDIENST IHRER ERFAHRUNG IST.
Das ist sehr freundlich von ihm. Meine Erfahrung aus zehn Jahren Formel 1 hat mir dabei nicht einmal soviel geholfen. Viel entscheidender ist, daß ich dreimal Weltmeister war, viele Rennen gewonnen habe und nichts mehr beweisen muß. Die Ferrari-Leute vertrauen auf das, was ich sage und mache. Das beste Beispiel ist wieder Mexiko. Als ich gesehen hatte, daß ich nicht in die erste Startreihe fahren könnte, habe ich das Training abgeschrieben und nur auf das Rennen hingearbeitet. Das Team hat das akzeptiert. Ein jüngerer Fahrer wie Gerhard kann sich so etwas gar nicht leisten, weil er mehr Druck im Team verspürt. Ich tue heute, was ich will, und lasse mir von keinem dreinreden, wenn ich falsch liege, übernehme ich zu hundert Prozent die Verantwortung. Dann gibt es noch ein Problem: Gerhard war drei Jahre bei Ferrari. Nach so langer Zeit im Team hört dir keiner mehr zu. Ich hatte bei McLaren das gleiche Problem. Alles nützt sich ab, und die Leute denken sich mit der Zeit: Lass ihn reden.

FERRARI WIRKT HEUTE VIEL ORGANISIERTER. WIE GROSS IST IHR ANTEIL DARAN?
Ich habe von Anfang an meine Vorstellungen von effizienter Arbeitsweise deutlich gemacht. Sogar in der Fiat-Chefetage bei Cesare Romiti und Gianni Agnelli. Das allein genügt aber nicht. Wenn du große Reden schwingst, mußt du sie auch in der Praxis vorleben. Das heißt für mich, daß ich jeden Test, jeden Trainingstag bis acht Uhr abends an der Rennstrecke zubringen muß, um mit den Ingenieuren zu reden. Wenn du um drei Uhr nachmittags zum Golfspielen rennst, wirst du sehr schnell unglaubwürdig.

WIEVIEL INFORMATIONEN ÜBER DEN HONDA-MOTOR KONNTEN SIE FERRARI GEBEN?
Ich weiß eine ganze Menge über den Honda-Motor, auch einige Daten. Aber ich habe ihn nie offen gesehen. Keiner bei McLaren durfte je in den Motor schauen. Es gibt also viele Dinge, die wir nicht wissen. Aber vom Gefühl her kann ich sagen: Der neue Experimentalmotor von Ferrari kommt dem Honda V10 schon sehr nahe.

JEDER SPRICHT DARÜBER, DASS FERRARI MIT SENNA LIEBäUGELT. STÖRT SIE DAS?
Überhaupt nicht. Ferrari gehört mir nicht. Wenn Ferrari oder die Fiat-Gruppe der Meinung sind, Senna wäre besser für sie, bin ich ihnen nicht einmal böse. Wenn es soweit kommen sollte, will ich nur den Grund hören, warum sie Senna mir vorgezogen haben. Ich könnte zum Beispiel verstehen, wenn sie sagen würden: Der Senna ist jünger als du, er wird länger in der Formel 1 fahren und paßt deshalb besser in unser langfristiges Konzept. Ich will diese Entscheidung nur so bald wie möglich wissen.

HAT SENNA EINE CHANCE BEI FERRARI?
Ich glaube nicht. Er paßt von der Mentalität her nicht ins Team.

WAS HEISST DAS?
Bei Ferrari mußt du zuerst ans Team denken, dann an dich. Bei Senna ist das genau umgekehrt.

AYRTON SENNA SOLL 15 MILLIONEN DOLLAR FÜR EIN JAHR GEFORDERT HABEN. MCLAREN-CHEF RON DENNIS UND FERRARI-RENNLEITER CESARE FIORIO SIND AUSNAHMSWEISE MAL EINER MEINUNG, DASS EINE SOLCHE SUMME EINE GEFAHR FÜR DIE FORMEL 1 WÄRE.
Völlig richtig. Gehen wir mal davon aus, daß ein gutes Team mit 50 Millionen Dollar pro Jahr operiert. 15 Millionen wären 30 Prozent davon. Das ist kein Fahrer der Welt wert, weil es ja bedeuten würde, daß er 30 Prozent der gesamten Arbeit leisten müßte, was nicht der Fall ist. Natürlich schau' ich als Fahrer danach, soviel Geld zu verdienen wie möglich, aber ich würde es nie wagen, eine solche Summe zu fordern.

NIGEL MANSELL HAT SICH BEKLAGT, DASS SIE IHM INFORMATIONEN VORENTHALTEN, NUR IN DIE EIGENE TASCHE WIRTSCHAFTEN. WIE STEHT ES DAMIT?
Wir haben einen völlig verschiedenen Arbeitsstil; deshalb ist es schwer, mit Nigel zusammenzuarbeiten. Ich möchte sagen, er benutzt beim Arbeiten mehr seinen Instinkt. Manchmal ändert er am Auto alles auf einmal: Flügel, Federn, Dämpfer, Stabilisatoren. Bei mir geht das systematisch Schritt für Schritt. Nigel fährt oft von Freitag bis Sonntag mit der gleichen Abstimmung, wenn sie ihm auf Anhieb gefällt. Ich baue das Auto immer komplett um. Es kommt vor, daß ich noch auf dem Startplatz etwas ändern lasse. Daß ich Nigel Informationen vorenthalte, ist Unsinn. Wenn er mich fragt, bekommt er eine Antwort. Wir reden allerdings nicht allzuviel miteinander, weil ich mit seinen Informationen nichts anfangen kann. Er hat ein völlig anderes Fahrgefühl als ich.

WAS SAGEN SIE ZU SEINER RÜCKTRITTSERKLÄRUNG?
Ich war nur halb so überrascht wie andere. Um ehrlich zu sein: Ich kann ihn verstehen. In dem Alter, in dem wir uns befinden, hast du keine langfristigen Pläne in der Formel 1 mehr. Ich glaube, Nigel wollte noch ein Jahr bleiben. Die Nummer-eins-Position, die er sich immer gewünscht hat, hätte er bei Williams aber nur bekommen, wenn er länger unterschrieben hätte. Bei Ferrari hat er sich vielleicht nicht mehr so wohl gefühlt. Möglicherweise bin ich daran schuld; ich weiß es nicht.

WANN HÖREN SIE AUF?
Es ist gut möglich, daß ich Ende 1991 Schluß mache.

SIND DIE 50 GRAND PRIX-SIEGE DIE SCHWELLE ZUR RENTE?
Nein, sicher nicht. Die Schwelle ist der Zeitpunkt, an dem es mir keinen Spaß mehr macht. Ich glaube, nach Ferrari gibt es für mich keine Herausforderung mehr.

AUF KEIN ANGEBOT VON MERCEDES?
Ich habe das Gefühl, mein nächster Job findet außerhalb eines Rennwagens statt.

SIE MEINEN IHR EIGENES TEAM. WIE WEIT WAREN SIE LETZTES JAHR DAVON ENTFERNT?
Es fehlte eigentlich nur noch die Unterschrift unter das Projekt. Ich hatte einen Ingenieur, einen Motor - von Renault, und auch das Geld hätte sich auftreiben lassen. Geld für eine Saison hätte ich sofort bekommen. Ich wollte aber ein Budget für fünf Jahre. Und da wurde es schwierig. Du mußt die Leute überzeugen, daß sie für etwas investieren sollen, daß sie nicht abschätzen können. Ich bedauere diese Entwicklung, wie sie gekommen ist, nicht. Im Grunde wollte ich schon noch zwei Jahre selbst fahren. Und ich wollte nicht mit zwei so frustrierenden Jahren wie zuletzt bei McLaren abtreten.

SIE FÜHREN FAST ALLE STATISTIKEN AN, NUR DIE TRAININGSBESTZEITEN NICHT. WO LIEGT DAS PROBLEM?
Ich war nie ein Spezialist in dem Wettbewerb, in dem es nur darum geht, in einer Runde schnell zu sein. Vielleicht bin ich bei dieser Prüfung wirklich langsamer als Senna oder Mansell. Ich hatte schon immer Probleme, die Qualifikationsreifen optimal zu nutzen. Im Training brauchst du ein großes Herz und mußt Risiken eingehen, die ich heute nicht mehr eingehen will. Ayrton Senna hat sich letztes Jahr in Silverstone bei 240 Sachen in Stowe Corner gedreht, nur weil er meine Zeit unterbieten wollte. Man kann sich bei so einer Aktion umbringen. Und wofür? Nur für die Pole Position, das wäre lächerlich. Das Wichtigste in unserem Job ist immer noch das Rennen. Und darauf konzentriere ich mich.




Back to interview-page!

To Prost-infopage!

To prostfan.com!

prostfan.com © by Oskar Schuler, Switzerland